Über Hören

„Haben Sie schon gehört…“ Die Monheim Triennale im Gespräch

#1 : Donnerstag, 7.11.19, VHS (im Rahmen der Reihe „Einblicke“ der Monheimer Kulturwerke)
Zusammenfassung der Fragen und Gedanken, die in dieser Veranstaltung Gegenstand der Diskussion waren.

In meinem musikalischen Leben habe ich vor allem gelernt, immer genauer hin zu hören und mich dadurch unterschiedlichster Musik mehr und mehr zu öffnen. In diesem - noch immer andauernden  - Lernprozess geht es weniger um ein „Verstehen“ von Musik als darum, Zugänge zu dem Phänomen „Klang“ zu finden, sei dieser nun „zufällig“ (wie die uns alltäglich umgebenden Klänge) oder „gestaltet“ (wie dieMusik). Vor der Auseinandersetzung mit bestimmten musikalischen Ausdrucksformen möchte ich deshalb an diesem Abend das „Hören“ in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellen. Ausgehend von der bewussten Wahrnehmung unserer klingenden Umgebung können wir dann gemeinsam die Frage nach dem „Verständnis“ von Klang und von (zeitgenössischer) Musik untersuchen und dabei auch Künstler*innen der Triennale zuhören.

Ich bin dafür, die Dinge im Geheimnisvolle zu belassen, und ich habe nie Vergnügen daran gefunden, etwas zu verstehen. Wenn ich etwas verstehe, kann ich nichts mehr damit anfangen. Deshalb versuche ich, Musik zu machen, die ich nicht verstehe und die auch für andere Menschen schwer zu verstehen ist“ (John Cage)

Frage 1:   
  • Wie klingt die Strasse, in der Sie wohnen? Könnten Sie sie so beschreiben, dass wir uns den Klang vorstellen können? Könnten Sie sie anhand ihres Klangs wieder erkennen?
 „…jeder Ort dieser Erde hat eine eigene akustische Signatur. (…) Viele von uns unterscheiden nicht zwischen dem Akt des Zuhörens und dem des Hörens. Es ist eine Sache passiv zu hören, etwas ganz anderes ist es (…) aktiv zu lauschen
        Bernie Krause: Das Grosse Orchester der Tiere, New York 2012

Frage 2:
  • Wie erleben Sie diese Klangwelt? Könnten Sie (oder wir) ästhetische Qualitäten in diesen Klängen entdecken? Es geht dabei nicht um persönlichen „Geschmack“, also nicht darum, ob uns der Klang (die Musik) uns „gefällt“ oder nicht sondern darum wie er wahrgenommen und beschrieben werden kann.
         Wie beeinflusst Klang das, was wir als unsere „Wirklichkeit“ bezeichnen?

Jeder meint, dass seine Wirklichkeit die richtige Wirklichkeit ist“ (Hilde Domin).

Frage 3:   
  • Der Komponist John Cage beschreibt den Klang als ein eigenständiges Wesen, welches sich nicht auf seine Ursache oder Funktion reduzieren lässt. Ist dass eine Annahme, die Sie „verstehen“ oder nachvollziehen können (unabhängig davon, ob Sie sie teilen?)
Im 20sten Jahrundert beginnen Musiker*innen und Komponist*innen zunehmend auch Geräusche, also bisher als "nicht musikalisch" eingestufte Klänge in ihrer Arbeit zu verwenden. „Der Französisch-US-amerikanische Komponist und Dirigent Edgar Varèse hat es vorgezogen, statt von Musik von „organisiertem Ton“ zu sprechen. Er selbst lieferte uns anlässlich einer Vorlesung an der Princeton University 1959 die Stichworte: „Mein kämpferischer Einsatz für die Befreiung des Klangs und für mein Recht, mit jeder Art von Schall, mit allem was klingt Musik zu machen, ist zuweilen als Wunsch, die große Musik der Vergangenheit herabzusetzen, ja sogar sie zu verwerfen, ausgelegt worden…“  Die Emanzipation des Schalls ist aber nicht als Herabsetzung der Musik zu verstehen, sondern als Sehnsucht, „unser musikalisches Alphabet zu erweitern“, wie er schon 1916 im New Yorker Morning Telegraph forderte. Seitdem gilt: Alles, was klingt, gehört zur Kunst des Klangs." (aus Peter Weibel: Sound Art, Klang als Media der Kunst, gefunden auf http://soundart.zkm.de/informationen/sound-art-klang-als-medium-der-kunst-peter-weibel/, 5.11.19)

Bereits 1913 hatte der futuristische Künstler Luigi Russolo sein Manifest „Die Kunst der Geräusche“ veröffentlich und diverse Instrumente zur Geräuscherzeugung entwickelt (die „Intonarumori“). In seinem Text beschreibt Russolo die Geräusche der Grossstadt als das klangliche Material zukünftiger Musik: „Durchqueren wir eine grosse moderne Hauptstadt, die Ohren aufmerksamer als die Augen, und wir werden daran Vergnügen finden, die Wirbel von Wasser, Luft und Gas in den Metallrohren zu unterscheiden, das Gemurmel der Motoren, die unbestreitbar tierisch schnaufen und pulsieren, das Klopfen der Ventile, das Hin- und Herlaufen der Kolben, das Kreischen der mechanischen Sägen, das Holpern der Traumwagen auf ihren Schienen, die Schnauzer der Peitschen, das Knistern der Vorhänge und Fahnen. Wir werden uns damit unterhalten, das Getöse der Rollenden der Händler in unserer Vorstellung zu einem Ganzen zu orchestrieren, die auf- und zuschlagenden Türen, das Stimmengewirr und das Scharren der Menschenmengen, die verschiedenen Getöse der Bahnhöfe, der Eisenhütten, der Webereien, der Druckereien, der Elektrozentralen und der Untergrundbahnen“ (Luigi Russolo: Die Geräuschkunst, übersetzt von Justin Winkler und Albert Mayr, www.klanglandschaft.org, 1999). Auch wenn sich die Musik nicht, wie von Russolo vorausgesagt, zu einer ausschliesslich auf Geräuschen basierenden Klanggestaltung entwickelt hat ist die von Varese geforderte „Erweiterung des musikalischen Alphabets“ nicht mehr rückgängig zu machen.

Diese Entwicklung hat noch einen weiteren interessanten Aspekt. Dazu noch einmal Peter Weibel: „Die Freiheit der Tonkunst befreit also nicht nur den Klang, sondern auch den Interpreten und den Zuhörer. Um der Befreiung des Klanges und der Emanzipation des Geräusches ihre wahre Bedeutung zu verleihen, muss man der These Jacques Attalis folgen, dass „die Welt nicht lesend, sondern hörend verstanden wird“, wie er sie in seinem Buch Bruits [1977], einer politischen Ökonomie der Musik, vertritt.
Heute sind wir permanent umgeben von „…dem, was wir Musik nennen“ (Cage), überall wirken Klänge auf uns ein, die zumeist industriell produziert werden und die ganz bestimmte Zwecke verfolgen. Musik umgibt uns im Fahrstuhl, im Supermarkt, erklingt in der Warteschleife des Telefons, wird im Kuhstall gespielt, damit die Kühe mehr Milch geben, Computerspiele und die gesamte Werbung sind ohne Musik nicht denkbar. Diese laufende Beschallung „formatiert“ unsere Wahrnehmung der „Wirklichkeit“, manipuliert und beeinflusst uns, vielleicht ohne dass wir es bewusst wahrnehemen. Gleichzeitig macht sie uns unempfindlich gegenüber anderen klanglichen (musikalischen?) Eindrücken, welche die Umgebung uns anbietet.

Grosse Konzerne geben viel Geld dafür aus, ihre Produkte mittels „sound design“ akustisch zu optimieren. Das gilt nicht nur für den Klang des Motors oder bei dem Zuschlagen der Tür eines Autos, sondern auch für den Klang beim Öffnen einer Bierflasche oder für das Knacken beim Anbiss einer Wurst (https://de.wikipedia.org/wiki/Tongestaltung). Auch das deutet darauf hin, dass die (unbewusste) Wahrnehmung von Klang eine grosse Wirkung auf unser Leben hat.
Jetzt folgen musikalische Ausschnitte aus dem Werk von drei Musiker*innen, die zur kommenden Triennale eingeladen wurden: Der US amerikanische, heute in London lebende Musiker Sam Amidon bezieht sich mit seiner Musik auf die amerikanische Folk Tradition. Gleichzeitig übersetzt er die oft Jahrhunderte alten Lieder ins 21ste Jahrhundert. Dabei arbeitet er mit improvisierenden Musiker*innen und  Komponist*innen der zeitgenössischen Musik zusammen. Das folgende Beispiel ist eine Ballade aus dem 17ten Jahrhundert, die in verschiedenen Epochen immer wieder neu interpretiert wurde und die Amidon zusammen mit dem Komponisten Nico Muly auf dem 2008 erschienenen Album „Mothertongue“ veröffentlicht hat.
Frage 4:   
  • Können wir in dem Beispiel eine Verbindung herstellen zwischen den experimentellen Klängen (am Anfang des Stücks) und dem Lied, das sich daraus entwickelt? Lässt sich eine „Notwendigkeit“ für diese Einleitung erkennen?
In dem Text dieses alten, oft neu interpretierten Songs, wird die Geschichte von zwei Schwestern erzählt, die an einem Fluss spazieren gehen. Die Ältere stösst die Jüngere ins Wasser und lässt sie ertrinken. Der Körper des Mädchens treibt den Fluss hinab und wird von einem Müller geborgen, der aus den Knochen der Toten ein Instrument baut, welches von selbst spielt und die grausame Geschichte des Mordes erzählt.

Frage 4a: 
  • Ist die textliche Information wesentlich für das Verständnis der Musik? Wie verändert sich unsere Haltung gegenüber dem Klang wenn wir diese Information haben (nicht haben)?
Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor irgendetwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können. (Christoph Schlingensief)

Eine weitere Künstlerin der Triennale ist Ava Mendoza (geb. 1983 in Miami, USA, aufgewachsen in Orange County, Kalifornien). Heute lebt und arbeitet Mendoza als experimentelle Gitarristin, Sängerin und Komponistin in Brooklyn/ NYC und ist für ihre Technik und ihr intuitiven musikalischen Ansatz bekannt. Zu ihrem jüngsten Oeuvre gehört die Arbeit als Bandleaderin der experimentellen Rockband „Unnatural Ways“ und ihre Solo-Performances mit Gitarre und Gesang.

Frage 5:   
  • Wie verändert sich unser Höreindruck durch das Video? Wie würde sich unser Höreindruck verändern, wenn wir die Band Live hören könnten? Welche anderen Aspekte neben dem Klang beinflussen uns beim Musikhören? Welche Rolle spielt die stilistische Zuordnung, das „passende Klischee“ bei dem „Verständnis“ der Musik?
Ava Mendoza beschreibt die Musik von „Unnatural Ways“ wie folgt: „Over their years of playing together the group has developed a deeply personal sound; raw, heavy and never far from an absurd nervous breakdown. Drawing from their backgrounds in noise rock, free jazz, and metal the band pushes the boundaries of written music to put on powerful and unpredictable live shows. Consistent lyrical themes include: political paranoia, inclusion/ exclusion, alter egos and alternate realities. A funny and blunt celebration of the best and worst of the modern American landscape.

Der Kölner Komponist Marcus Schmickler wird die Triennale mit einer grossen Inszenierung am Rhein eröffnen. Hier ist ein Beispiel seiner Arbeit, die er zusammen mit Julian Rohrhuber, Professor für Musikinformatik und Medientheorie an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf unter dem Titel „Politiken der Frequenz" veröffentlicht hat. Die beiden Protagonisten beschäftigen sich mit der Zahl, welche in Musik und Ökonomie gleichermassen ein fundamentales Element darstellt.
Following an hypothesis according to which “Music and Economics share a fundamental object: number”, Schmickler and Rohrhuber’s project POLITIKEN DER FREQUENZ circles around the acoustic rendering of number concepts. Inspired by Alain Badiou’s Le Nombre et les Nombres and accompanied by mixed choir, the piece attempts to question the apparent immediacy of number that allows calculation to govern today’s economy, social sciences and everyday life.
"Change, flexibility, and movement are considered desirable today, while the static, rigid, and unchanging tends to be met with reservation or is implicitly opposed. Movement, perhaps even chaotic movement, or some form of change of the change of the change, appears promising: it suggests the invention of the new, rather than the discovery of the already-there, it is taken as the core of the revolutionary, or at least of the progressive. The unchanging, then, is only a brittle ladder to be used and then thrown away, a dead tool that merely points to life, or even a conservative prison of standardization. By consequence, what seems to exist in movement and nothing more, indeed appears in a favorable light: sound.“ (http://editionsmego.com/release/eMEGO-191-TA-115, 4.11.19)

        Der Rest ist Schweigen
(William Shakespeare)
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